Discussion:
Diese Hitzeschutzkacheln am Space Shuttle...
(zu alt für eine Antwort)
Hartmut Mühlenbein
2005-08-01 20:46:49 UTC
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ist das sowas wie Schamotte?

Hartmut
Alan Tiedemann
2005-08-01 22:04:38 UTC
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Post by Hartmut Mühlenbein
ist das sowas wie Schamotte?
Ich trage mal Informationen aus dem norwegischen Buch "Romfergen" von
Erik Tandberg zusammen.

Es sind Keramik/Glas/Kohlefaser-Verbundstoffe. In dem Buch steht
"silikafiber", das ist ein Glasfaserstoff. Die Fasern bestehen aus
99,7%igem Silika-Glas mit einem Durchmesser von 1,5 Mikrometer. Dies
reduziert die Wärmeleitung praktisch auf Null. 90% der Wärme werden
direkt reflektiert, und es soll angeblich möglich sein, einen Block aus
diesem Material mit bloßen Händen an den Ecken anzufassen, wenige
Sekunden nachdem er aus einem 1200 Grad heißen Ofen genommen wurde und
innen noch rot glüht.

Dieses Glasfaser-Material heißt "LI-900" ("Lockheed Insulation") und hat
ein spezifisches Gewicht von 0,144 g/cm³.

Denk an Rennwagen-Bremsen, dann hast Du in etwa das Material.

Achja, es wird ja gerade laut die Idee gedacht, den Hitzeschild aus
wesentlich größeren Elementen zu bauen, damit nicht dauernd kleine Teile
abfallen oder -brechen. In einem Buch von Anfang der 80er Jahre lese ich
gerade, daß das aufgrund der erheblich (!) unterschiedlichen
Ausdehnungskoeffizienten von Aluminium (daraus besteht das Shuttle) und
dem Keramikschild prinzipiell nicht geht. Auch der Kleber, mit dem die
Kacheln befestigt werden, muß daher extrem elastisch und hitzefest sein.
Zwischen Kacheln und Aluminium-Rumpf befindet sich noch eine Lage aus
speziellem Filz. Also: Kachel, Kleber, Filz, Kleber, Alu.

Insgesamt ist das System sehr komplex: Die Kacheln hatten bei der ersten
Variante an der Columbia eine maximale Kantenlänge von 20 cm, und es
waren exakt 30.761 Kacheln. Es bestand aber nicht der ganze Schild aus
diesen LI-900-Blöcken.

Die Bereiche, die unter 371° bleiben (Oberseite der Laderaumluken,
hintere Seitenwände, Oberseite der Tragflächen) waren mit sogenanntem
Somex-Filz beklebt, das mit Silikon beschichtet war (wasserdicht), in
einer Dicke zwischen 0,4 und 1,6 cm. Fläche: 333 m². Gewicht: 528 kg.

Mit 7000 Blöcken LI-900 Class 1 (weiß beschichtet) waren die Bereiche
zwischen 371° und und 640° (vordere Seitenflächen des Rumpfs, vordere
Oberseite der Tragflächen und das Seitenruder) zwischen 0,5 und 2,5 cm
Dicke beklebt. Fläche: 255 m². Gewicht: 1079 kg.

Mit 20.000 Blöcken LI-900 Class 2 (schwarz beschichtet) waren die
Bereiche bis 1260° (Unterseite, ein Teil der Nase) bis zu 15 cm Dicke
beklebt, die meisten waren 1,3-8,9 cm dick. Fläche: 480 m². Gewicht:
5014 kg.

Die mechanisch kritischen Bereiche (Fahrgestell-Luken etc) sind mit
Kacheln aus LI-2200 beklebt, das hat ein spezifisches Gewicht von 0,352
g/cm³ und ist stabiler. Gewicht: 1405 kg.

Die Frontkanten der Flügel und die Nasenspitze wiederum sind mit
carbon-carbon-Faserblöcken beklebt. Dazu werden Kohlefasern über Kreuz
in Form gebracht, gebacken, und anschließend mit Siliziumkarbid
beschichtet, um Oxydation zu verhindern. Jede Tragflächenvorderkante ist
mit 44 gebogenen Blöcken beklebt, die Nase nochmal mit rund 1,4 Metern
davon. Insgesamt bedeckt dieses Material 37,5 m² des Shuttles und wiegt
1405 kg.

So, ich hoffe das war genau genug und nicht allzu fehlerhaft aus dem
genannten Buch zusammengetragen ;-) Stand der Informationen ist
allerdings 1983.


Der Hitzeschild wird bei diesen Raumfähren aber wohl weiterhin aus
mehreren tausend Teilen bestehen müssen, damit er nicht zerbricht, reißt
oder komplett abfällt. Bei zukünftigen Konstruktionen kann man das wohl
auch anders lösen, aber nicht beim Space Shuttle der NASA.

Gruß,
Alan
--
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Hartmut Mühlenbein
2005-08-02 21:35:55 UTC
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Post by Alan Tiedemann
Post by Hartmut Mühlenbein
ist das sowas wie Schamotte?
Ich trage mal Informationen aus dem norwegischen Buch "Romfergen" von
Erik Tandberg zusammen.
Es sind Keramik/Glas/Kohlefaser-Verbundstoffe. In dem Buch steht
"silikafiber", das ist ein Glasfaserstoff. Die Fasern bestehen aus
99,7%igem Silika-Glas mit einem Durchmesser von 1,5 Mikrometer. Dies
reduziert die Wärmeleitung praktisch auf Null. 90% der Wärme werden
direkt reflektiert, und es soll angeblich möglich sein, einen Block aus
diesem Material mit bloßen Händen an den Ecken anzufassen, wenige
Sekunden nachdem er aus einem 1200 Grad heißen Ofen genommen wurde und
innen noch rot glüht.
Dieses Glasfaser-Material heißt "LI-900" ("Lockheed Insulation") und hat
ein spezifisches Gewicht von 0,144 g/cm³.
Und warum hat sowas noch nicht im Feuerungsbau Einzug gehalten?

Bei Herstellung in entsprechenden Mengen dürfte das Zeug doch wohl
erschwinglich sein, und den Wirkungsgrad jeder Feuerung erheblich
steigern...

Hartmut
Alan Tiedemann
2005-08-02 22:35:55 UTC
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Post by Hartmut Mühlenbein
Post by Alan Tiedemann
Es sind Keramik/Glas/Kohlefaser-Verbundstoffe. In dem Buch steht
"silikafiber", das ist ein Glasfaserstoff. Die Fasern bestehen aus
99,7%igem Silika-Glas mit einem Durchmesser von 1,5 Mikrometer. Dies
reduziert die Wärmeleitung praktisch auf Null. 90% der Wärme werden
direkt reflektiert, und es soll angeblich möglich sein, einen Block aus
diesem Material mit bloßen Händen an den Ecken anzufassen, wenige
Sekunden nachdem er aus einem 1200 Grad heißen Ofen genommen wurde und
innen noch rot glüht.
Dieses Glasfaser-Material heißt "LI-900" ("Lockheed Insulation") und hat
ein spezifisches Gewicht von 0,144 g/cm³.
Und warum hat sowas noch nicht im Feuerungsbau Einzug gehalten?
Wahrscheinlich weil es *wesentlich* zu teuer ist.
Post by Hartmut Mühlenbein
Bei Herstellung in entsprechenden Mengen dürfte das Zeug doch wohl
erschwinglich sein, und den Wirkungsgrad jeder Feuerung erheblich
steigern...
Naja, wenn's pro Stück ein paar tausend Euro kostet, ist es bis zur
Wirtschaftlichkeit ein *sehr* weiter Weg... Schamottsteine kriegt man ja
praktisch hinterhergeworfen.

Gruß,
Alan
--
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Andreas Haimberger
2005-08-03 18:48:51 UTC
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Post by Hartmut Mühlenbein
Post by Alan Tiedemann
Dieses Glasfaser-Material heißt "LI-900" ("Lockheed Insulation") und hat
ein spezifisches Gewicht von 0,144 g/cm³.
Und warum hat sowas noch nicht im Feuerungsbau Einzug gehalten?
Keramikfaser wird schon seit Jahrzehnten im industriellen Ofenbau für
die Hochtemperatur-Isolation verwendet, das ist schon lange nichts
besonderes mehr. Hersteller ist z.B. "Thermal Ceramics":
http://www.thermalceramics.com/

Die Kacheln am Space-Shuttle sind im Prinzip das Gleiche, bloss in sehr
hochwertiger und teurer Ausführung, weil hier beste Isolation bei
geringstem Gewicht gefordert wird.

MFG, Andy
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Dirk Salva
2005-08-01 21:58:17 UTC
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Post by Hartmut Mühlenbein
ist das sowas wie Schamotte?
Nein. Ich zitiere hier mal die "Bild am Sonntag", 31.07.2005, Seite
16f.:

"Die Raumfähre ist mit ca. 30000 Hitzeschutzkacheln der Firma Lockheed
Martin beklebt, jede etwa 15x15cm groß, rund 4cm dick und knapp 100g
leicht. Die Kacheln bestehen aus Silikatschaum, einem Stoff, der an
Styropor erinnert und extrem schlecht Hitze leitet. Zusätzlich haben
sie eine 0,3mm dünne Glasschicht. Die Schutzschicht hält Temperaturen
bis zu 1200°C ohne Schäden aus. Schon eine Berührung mit dem Finger
hinterläßt allerdings Löcher."

"Silikatschaum" dürfte nicht ganz die korrekte Übersetzung von
"reinforced Carbon Carbon (RCC)" sein, wie es Lockheed-Martin nennt.

Siehe auch:
http://www.lockheedmartin.com/wms/findPage.do?dsp=fec&ci=11322&rsbci=13267&fti=122&ti=0&sc=400

ciao, Dirk
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Alan Tiedemann
2005-08-01 22:09:10 UTC
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Post by Dirk Salva
"Silikatschaum" dürfte nicht ganz die korrekte Übersetzung von
"reinforced Carbon Carbon (RCC)" sein, wie es Lockheed-Martin nennt.
Nicht ganz. Reinforced Carbon Carbon befindet sich nur an den
Frontseiten der Tragflächen und an der Nasenspitze. Ansonsten gefällt
mir "Glasfaserkachel" besser ;-)

Gruß,
Alan
--
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Dirk Salva
2005-08-02 22:13:08 UTC
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Post by Alan Tiedemann
Post by Dirk Salva
"Silikatschaum" dürfte nicht ganz die korrekte Übersetzung von
"reinforced Carbon Carbon (RCC)" sein, wie es Lockheed-Martin nennt.
Nicht ganz. Reinforced Carbon Carbon befindet sich nur an den
Frontseiten der Tragflächen und an der Nasenspitze. Ansonsten gefällt
mir "Glasfaserkachel" besser ;-)
Es gibt auch eine nette Grafik dazu unter http://wdrblog.de/raumfahrt/

ciao, Dirk
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Alan Tiedemann
2005-08-02 22:45:08 UTC
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Post by Dirk Salva
Post by Alan Tiedemann
Nicht ganz. Reinforced Carbon Carbon befindet sich nur an den
Frontseiten der Tragflächen und an der Nasenspitze. Ansonsten gefällt
mir "Glasfaserkachel" besser ;-)
Es gibt auch eine nette Grafik dazu unter http://wdrblog.de/raumfahrt/
Ohja, eine sehr schöne Grafik, da sieht man auch die unterschiedlichen
Klassen der Kacheln:
Gelb = Nomex-Filz
Orange = LI-900 Class 1
Rot = LI-900 Class 2
Dunkelrot = RCC

In dem norwegischen Buch war übrigens die Rede davon (1983!), daß es
kein Problem sei, wenn eine oder zwei Kacheln beschädigt wären oder gar
rausfallen würden, da die Hitze sich entsprechend verteilen würde und es
keine Gefahr für das Shuttle gäbe. Erst wenn größere Stücke rausfallen
(oder eben an neuralgischen Punkten wie den dunkelroten RCC-Bereichen
Schäden auftreten), dann wird es kritisch.

Daher ist ja auch an den kritischen Punkten RCC verarbeitet worden,
damit selbst abfallende Eisbrocken (!) vom Tank beim Start keinen
Schaden anrichten.

Wie gesagt, das sind die Erkenntnisse von 1983. Daß die Columbia durch
runtergefallene Schaumstoffstücke so stark beschädigt wurde, daß sie
überhitzte und dann auseinanderbrach, ist schon ziemlich merkwürdig.
Aber wahrscheinlich war das eben einfach ein zu großer Schaden...

Gruß,
Alan
--
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Alan Tiedemann
2005-08-01 22:13:19 UTC
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Post by Hartmut Mühlenbein
ist das sowas wie Schamotte?
Achja, neuere Informationen als von 1983 *hüstel* gibt es offenbar hier:
<http://www.centennialofflight.gov/essay/Evolution_of_Technology/TPS/Tech41.htm>

Achtung, sehr detailliert ;-)

Gruß,
Alan
--
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